Thomas Lambert Schöberl: „Liebe ist das unsichtbare Band, das alle Dimensionen vereint, und wächst mit jedem Wort, das wir ihr schenken“
Article: Thomas Lambert Schöberl: „Liebe ist das unsichtbare Band, das alle Dimensionen vereint, und wächst mit jedem Wort, das wir ihr schenken“
Thomas Lambert Schöberl: „Liebe ist das unsichtbare Band, das alle Dimensionen vereint, und wächst mit jedem Wort, das wir ihr schenken“
Interview zum Buch 50 Wörter für Liebe
„In einer Zeit, in der viele Menschen unter Sprachlosigkeit leiden – sei es durch persönliche Traumata oder gesellschaftliche Gräben – brauchen wir neue Wege, das Unsagbare zu berühren. Die ‚50 Wörter für Liebe‘ richten sich an Leserinnen und Leser, die nach einer intensiveren Beziehung zum Leben suchen, ihren inneren Reichtum entdecken und ihren Glauben an die Liebe und an das Leben stärken oder hinterfragen möchten. Denn Liebe ist wie ein Funke, der durch Teilen nicht kleiner, sondern heller wird.“ Mit seinem Buch „50 Wörter für Liebe“ will Thomas Lambert Schöberl uns ein Tor zu neuen Perspektiven und Erfahrungen öffnen. Denn seiner Meinung nach besitzt Liebe die Kraft, uns zu formen, zu heilen und zu vereinen.
Ihr neues Buch „50 Wörter für die Liebe“ beinhaltet Inspirationen, die das Herz berühren wollen. Was hat Sie selbst zu diesem Buch inspiriert?
Schöberl: Manchmal braucht es einen Umweg, um zum Kern einer Sache zu gelangen. Bei mir war es die Begegnung mit dem faszinierenden Mythos, dass die Inuit 50 verschiedene Wörter für Schnee hätten. Diese vermeintliche sprachliche Raffinesse, gepaart mit Kate Bushs musikalischem Meisterwerk „50 Words for Snow", wurde zum Schlüssel für ein Projekt, das schon lange in mir schlummerte: ein Buch über die unendlichen Facetten der Liebe. Denn was ist Liebe, wenn nicht das große Mysterium, das unser Menschsein definiert? Sie ist wie ein Prisma, durch das all unsere Erfahrungen schimmern. In einer Zeit, in der wir gerne alles in messbare Einheiten zerlegen oder in schnell konsumierbare Unterhaltung umwandeln, wollte ich der Liebe ihre poetische Dimension zurückgeben. Was, wenn unsere Sprache aus unserer tiefsten menschlichen Sehnsucht geboren wurde: Liebe zu schenken und zu empfangen? Manche Anthropologen vermuten, dass die Sprache selbst aus der Liebe entstand – aus dem Bedürfnis, Nähe zu schaffen und Zuneigung auszudrücken. Vielleicht war es dieser erste poetische Akt der Menschheit – das Verwandeln von Gefühl in Klang –, der uns zu den Geschichtenerzählern formte, die wir heute sind. Genau diesem magischen Ursprung wollte ich in 50 verschiedenen Facetten nachspüren.
Die Liebe ist wahrscheinlich das am meisten beschriebene und besungene Phänomen menschlichen Lebens – dennoch rufen Sie leidenschaftlich dazu auf, die Liebe aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Welche Facetten der Liebe sind Ihrer Ansicht nach noch nicht erkundet worden?
Schöberl: Liebe tanzt nicht nur im Ballsaal der Romantik. Ihr wahres Reich ist ein Himmelreich auf Erden. Sie ist die architektonische Kraft hinter unseren Städten, der kreative Funke in unserer Kunst, die demütige Hand in unserem Umgang mit der Natur. Sie manifestiert sich in jeder bewussten Entscheidung, unsere Welt ein Stück besser zu machen. Zu lange wurde die Liebe vornehmlich durch den männlichen, heterosexuellen Blick definiert. Heute erweitern weibliche, queere Stimmen, homosexuelle Narrative und nicht-binäre Sichtweisen unser Verständnis dessen, was Liebe sein kann – doch dieser Wandel steht noch am Anfang und seine Errungenschaften müssen verteidigt werden. Die Reife und Lebensqualität einer Gesellschaft zeigt sich gerade darin, wie sie Diversität lebt, wie sie Minderheiten schützt, wie sie Anderssein nicht nur toleriert, sondern als Bereicherung begreift. Es ist die Fähigkeit zu lieben, die sich in einem starken Sozialstaat spiegelt, in gelebter Toleranz, in der Würdigung vielfältiger Lebensentwürfe. Die Liebe zeigt sich in unendlich vielen Gestalten: Sie ist das unsichtbare Band, das alle diese Dimensionen vereint und unserem Dasein jene besondere Möglichkeit verleiht, die wir „ein freies Leben“ nennen.
Sie haben Musik-, Kunst- und Theaterwissenschaft sowie Evangelische Religionslehre studiert und arbeiten als Heilpraktiker in einer eigenen Praxis. Wie vereinen Sie alle diese Bereiche, und was ist das Besondere an Ihrem interdisziplinären Ansatz?
Schöberl: Wissenschaft, Kunst und Glaube sind für mich wie Schwestern einer uralten Familie. Ihr gemeinsames Zuhause finden sie in der Natur – dort, wo unsere Vorfahren in den ersten „Kathedralen", den Höhlen der Steinzeit, malten, musizierten und den Grundstein für unsere spirituelle Suche legten. Diese ursprüngliche Einheit von Klang, Bild und Heiligem trägt sich bis in unsere Zeit. Diese Verbindung spürte ich schon als Kind – in der Musik Bachs, in der ganzheitlichen Weisheit Hildegards von Bingen, in der transformativen Kraft des Theaters, wo Fantasie, Gemeinschaft und Spiritualität zu einer höheren Einheit verschmelzen. Mein akademischer Weg war die natürliche Fortsetzung dieser frühen Faszination. Als Heilpraktiker schaffe ich Räume, die an diese ganzheitliche Tradition anknüpfen. Meine Praxis ist wie ein modernes, freies Kloster, in dem sich Kunst, Klang, Sinnsuche, Natur und Stille begegnen. In meinen Workshops lade ich Menschen ein, ihrer eigenen Melodie zu lauschen und ihr Leben als kreative Antwort auf diese innere Stimme zu gestalten.
Sie sprechen an einer Stelle von einem „poetischen Lexikon der Liebe“, aber es geht darin nicht um eine Art Gebrauchsanweisung, wie man richtig oder erfolgreich liebt. Was ist stattdessen das Ziel des Buches, und welche Leserinnen und Leser wünschen Sie sich?
Schöberl: Ein Lexikon ist üblicherweise ein Ort der Definitionen – doch mein „poetisches Lexikon der Liebe“ öffnet stattdessen Räume der Möglichkeiten. Es ist eine Einladung, unseren sprachlichen und emotionalen Horizont zu erweitern, denn unsere Fähigkeit zu lieben wächst mit der Vielfalt unserer inneren Bilder. Wenn wir die Worte und Geschichten früherer Generationen aufgreifen, sie neu erzählen und mit eigenen Bedeutungen füllen, erschaffen wir eine lebendigere Sprache der Liebe. Die Form des Lexikons ist dabei bewusst gewählt: Wie die Liebe selbst ist es ein lebendiger Organismus, der sich ständig wandelt. In Gedichten, Geschichten und fantasievollen Wörterbucheinträgen vermischen sich Sprachen, Dialekte und neu erfundene Begriffe zu einer Symphonie des Fühlens. Es ist kein abgeschlossenes Werk, sondern ein kreativer Impuls, der zum eigenen Entdecken und Erschaffen einlädt. In einer Zeit, in der viele Menschen unter Sprachlosigkeit leiden – sei es durch persönliche Traumata oder gesellschaftliche Gräben – brauchen wir neue Wege, das Unsagbare zu berühren. Mein Buch richtet sich an alle, die bereit sind, die Liebe nicht zu „zerdenken“, sondern sie mit allen Sinnen zu erkunden. Denn Liebe ist wie ein Funke, der durch Teilen nicht kleiner, sondern heller wird. Sie wächst in jedem Wort, das wir ihr schenken, in jeder Geschichte, die wir über sie erzählen. Die ersten 50 Wörter sind dabei nur der Anfang einer unendlichen Entdeckungsreise. Das Buch richtet sich an Leserinnen und Leser, die nach einer intensiveren Beziehung zum Leben suchen, ihren inneren Reichtum entdecken und ihren Glauben an die Liebe und an das Leben stärken oder hinterfragen möchten. Es ist für jene, die nach Ausdrucksmöglichkeiten für ihre Gefühle suchen und sich mehr Kreativität und Inspiration in ihrem Alltag wünschen.
So wie das Licht einer Kerze nicht schwächer wird, wenn wir die Flamme an andere weitergeben,
so wächst auch unsere Liebe, je mehr wir sie teilen.
Sie verstehen unter der Liebe mehr als nur ein Gefühl, nämlich eine Lebenshaltung mit der Kraft zu heilen. Wie lässt sich diese Haltung in der Realität ausdrücken, die von Misstrauen und Missverständnis sowie Krisen und Katastrophen bestimmt wird?
Schöberl: Liebe ist für mich eine Überschrift, unter der sich vielfältige Erfahrungen und Zustände vereinen – wie Schnee, der aus Millionen einzigartiger Flocken besteht. Jede dieser Flocken ist ein Kunstwerk für sich, individuell und vergänglich. Doch genau in ihrer Vergänglichkeit liegt ihr Wert. Der Schnee, flüchtig und von zeitloser Schönheit, schenkt uns, wie die Liebe, einen achtsamen „Ewigkeitsmoment“. Er entrückt uns aus dem Profanen und lädt uns ein, zu fallen wie die Flocken selbst – ganz im Sinne des englischen „to fall in love“. Und gerade weil Schnee nicht immer verfügbar ist, weil er nicht unserer Kontrolle unterliegt, hat er etwas Magisches. Liebe ähnelt diesem Zauber: Sie braucht Hingabe, Demut und Vertrauen. Misstrauen überwinden wir durch Glauben – an uns selbst, an andere und an die Liebe. Vertrauen zu schenken, auch denen, die es vielleicht nicht zu verdienen scheinen, ist auch ein Akt der Liebe – ich nenne es „Demut“, „Großzügigkeit“, „Vergebung“. Es bedeutet, Brücken zu bauen, wo die Vernunft sie abreißen will. Doch dieses Vertrauen beginnt bei uns selbst: Wahre Liebe schafft keine Abhängigkeiten, sondern lehrt uns Geduld und Gelassenheit, damit wir geben können, ohne sofort etwas zurückzufordern. Und wenn wir glauben, dass wir nicht tiefer fallen können als in die Hände der Liebe, so wird aus dem Fallen ein „Sich-Einlassen“, ein Hingeben; oder, wie ich in meinem Buch schreibe, ein echter Sprung ins „Himmelweit und Tiefseeblau“. Wer an die Liebe glaubt, ist kein Narr - sondern ein Mensch, der den Mut zur kritischen Reflexion besitzt, der nie aufhört zu lernen und der weiß, wann es Zeit ist zu glauben und loszulassen. Die Liebe mag verschwenderisch sein, doch gerade in dieser Verschwendung liegt ihre Schönheit. Und in jenem scheinbar närrischen Moment, wenn alle Schwere von uns abfällt, verwandelt sich vermeintliche Torheit in eine Weisheit, die unserem Fall, unserem Leben, „Haltung“ verleiht.
Viele Beziehungsprobleme beginnen damit, dass wir uns selbst nicht kennen und lieben. Wie kann diese Liebe zu uns selbst erreicht werden, ohne in Egoismus oder Narzissmus abzudriften?
Schöberl: Viele Konflikte, ob in persönlichen Beziehungen oder im gesellschaftlichen Kontext, wurzeln in einem Mangel an Liebe – sei es durch fehlende Erfahrung oder die nicht erlernte Fähigkeit zur Selbstliebe. Was sich als Aggression, Ablehnung oder Gleichgültigkeit zeigt, ist oft ein verborgener Ruf nach Zuwendung. Doch echte Selbstliebe unterscheidet sich fundamental von Egoismus oder narzisstischen Mustern. Egoismus entsteht aus einem tiefen Überlebensmodus – der Angst, zu kurz zu kommen oder nicht genug zu bekommen. Narzissmus hingegen ist paradoxerweise Ausdruck einer fundamentalen Unsicherheit, die durch Kontrolle und Dominanz kompensiert wird. Beide Verhaltensmuster sind Schutzmechanismen, die eine innere Leere zu füllen versuchen. Wahre Selbstliebe zeigt sich anders: Sie ist die Fähigkeit, sich selbst anzunehmen und die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, ohne sich ständig zu bewerten. Sie manifestiert sich in klarer Kommunikation, gesunden Grenzen und dem Mut zur Verletzlichkeit. Ein Mensch, der sich selbst liebt, ruht in sich und muss nichts nehmen – er gibt aus freien Stücken, weil Liebe sich durch Teilen vermehrt. Sie schafft einen inneren Reichtum, der sich in Großzügigkeit, Respekt und der Wertschätzung von Vielfalt ausdrückt.
Buchtipp:
Thomas Lambert Schöberl: 50 Wörter für Liebe. Inspirationen, die das Herz berühren. Mankau Verlag, 1. Aufl. Januar 2025, Hardcover13,5 × 18,5 cm, 222 S., 18,00 Euro (D) | 18,50 Euro (A), ISBN 978-3-86374-728-2
Link-Empfehlungen:
Weitere Informationen zum Buch „50 Wörter für Liebe“
Zur Leseprobe im PDF-Format
Mehr über Autor Thomas Lambert Schöberl
Unsere sozialen Netzwerke – für Fragen, Kritik, Anregungen