
Svea Golinske und Dr. med. Peter Heilmeyer: „Wer Cortisol ‚detoxen‘ will, hat das Prinzip nicht verstanden!“
Artikel: Svea Golinske und Dr. med. Peter Heilmeyer: „Wer Cortisol ‚detoxen‘ will, hat das Prinzip nicht verstanden!“
Svea Golinske und Dr. med. Peter Heilmeyer: „Wer Cortisol ‚detoxen‘ will, hat das Prinzip nicht verstanden!“
Interview mit der Wissenschaftsjournalistin und dem renommierten Facharzt
„Cortisol ist lebensnotwendig. Ohne Cortisol könnten wir morgens nicht aufstehen, keine Entzündungen regulieren und keine Energie bereitstellen. Wir wollen dieses Hormon nicht länger dämonisieren, sondern verstehen: Es geht um Balance, nicht um Bekämpfung!“ Svea Golinske und Dr. med. Peter Heilmeyer, Autoren des Buch-Ratgebers „Der Cortisol-Code“, erläutern im Interview die wichtige Rolle des oftmals geschmähten „Stresshormons“ und stellen eine ganze Reihe Stellschrauben vor, mit denen wir selbst für einen stabilen Cortisol-Rhythmus sorgen können.
Frau Golinske, Herr Dr. Heilmeyer, warum war es Ihnen wichtig, ein Buch über Cortisol zu schreiben – und warum gerade jetzt?
Golinske: Eigentlich müssten Sie mich fragen: Warum ERST jetzt? Salopp gesprochen, ist es höchste Eisenbahn, die Menschen grundlegend über Cortisol aufzuklären. Cortisol ist ein Hormon, dass wir, wenn wir es verstehen, ganz entscheidend selbst beeinflussen können – ohne die Hilfe von Medizin oder Ärzten.
Heilmeyer: Cortisol ist eines der wichtigsten, aber gleichzeitig am meisten missverstandenen Hormone. In der täglichen Praxis sehe ich unzählige Menschen mit Symptomen, die sich durch Cortisol-Ungleichgewichte erklären lassen – von Schlafproblemen über Gewichtszunahme bis hin zu Erschöpfung und Stimmungsschwankungen. Gleichzeitig kursieren in den Medien viele Mythen. Es war höchste Zeit, das Thema wissenschaftlich fundiert, aber gut verständlich aufzubereiten.
Frau Golinske, Sie kommen aus dem Wissenschafts- und Medizinjournalismus, Herr Dr. Heilmeyer, Sie aus der Klinik und der Praxis. Wie haben Sie Ihre beiden Perspektiven beim Schreiben zusammengebracht?
Golinske: Uns eint der wissenschaftliche Blick auf die Dinge. Wir kamen in unseren Analysen und Empfehlungen fast immer zur gleichen Conclusio. Durch unsere Erfahrungen in Ernährung und Diabetesprävention war schnell klar, welche Themen besondere Aufmerksamkeit verdienen – auch, weil wir sie immer im größeren gesellschaftlichen Zusammenhang sehen wollten.
Heilmeyer: Wir haben uns perfekt ergänzt. Svea kennt die Fragen, die Leser stellen würden, versteht den heutigen Lebensstil – und bringt ihre wissenschaftsjournalistische Perspektive ein. Ich liefere die medizinischen Hintergründe und Patientenerfahrungen. So entstand ein Buch, das wissenschaftlich fundiert und zugleich praxisnah und lesernah ist.
Jetzt aber zum eigentlichen Thema: Cortisol wird oft als „Stresshormon“ bezeichnet und damit zum Feindbild gemacht. Sie dagegen beschreiben es als Schlüsselhormon. Was ist daran so besonders?
Golinske: Alle unsere Hormone haben eine Funktion, keines ist ein Dämon. Cortisol und Insulin gelten bei vielen in der heutigen Zeit unter anderem als Dickmacher. Beide werden jedoch erst dann problematisch, wenn sie langfristig im Überfluss im Körper wirken. Die grundlegenden Funktionen der Hormone im Körper zu verstehen, ist der Schlüssel dazu, rasch zu erkennen, dass sie wichtig sind und dass sie meist nur durch Lebensstil und äußere Einflüsse aus Arbeit, Umwelt und Privatleben aus der gewöhnlichen Funktionsweise gestoßen werden und dadurch ungesunde Auswirkungen haben. Die Ursachen hingegen sind nicht die Hormone, sondern die genannten Einflüsse, und genau an diesen kann jede und jeder selbst etwas ändern!
Heilmeyer: Cortisol ist lebensnotwendig. Ohne Cortisol könnten wir morgens nicht aufstehen, keine Entzündungen regulieren und keine Energie bereitstellen. Besonders ist, dass wir dieses Hormon nicht länger dämonisieren, sondern verstehen wollen: Es geht um Balance, nicht um Bekämpfung. Wer Cortisol „detoxen“ will, hat das Prinzip nicht verstanden.
![]() Schlafstörungen können ein Anzeichen für einen gestörten Cortisol-Haushalt sein – ebenso wie Erschöpfung, Gewichtszunahme, hartnäckiges Bauchfett, Gereiztheit und Konzentrationsprobleme. Gezieltes Stressmanagement, Entspannungsmethoden und Achtsamkeitspraktiken zählen zu den zahlreichen Werkzeugen, mit denen wir unseren Hormonhaushalt wieder ins Gleichgewicht bringen können.
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Ihr Buch arbeitet mit einem „Cortisol-Code“ aus Puzzleteilen. Können Sie erklären, wie dieses Bild entstanden ist?
Golinske: Es gibt bei Cortisol nicht einen einzelnen Trigger, sondern eine Vielzahl von möglichen und teils sehr unterschiedlichen Triggern. Alle zusammen in Einklang mit den individuellen Bedürfnissen von Körper und Psyche zu bringen und mit Resilienz-Faktoren zusammenzusetzen, gleicht einem Puzzle. Es müssen nicht immer alle Teile passen, um „cortisol-gesund“ zu sein; man erkennt das Bild auch, wenn ein Gros der Puzzleteile richtig ineinandergreift.
Heilmeyer: Ernährung, Schlaf, Bewegung, Licht, Emotionen – der Cortisol-Code beschreibt diese Puzzleteile, die zusammengenommen bestimmen, ob unser Cortisolspiegel stabil bleibt oder entgleist. Das Bild eines Puzzles hilft, die Komplexität greifbar zu machen.
Viele Bücher und Posts in den sozialen Medien geben aktuell Tipps gegen Stress. Cortisol ist zu einer Art „Buzzword“ geworden. Was unterscheidet Ihren Ansatz von den anderen?
Golinske: Je mehr ich weiß und verstehe, umso mehr kann ich selbst bewirken – das ist unser Credo. Außerdem stützen wir uns konsequent auf Forschung und klinische Erfahrung, nicht auf aktuelle Trends. So ist auch „Der Cortisol-Code“ entstanden: Er setzt umfassend an, erklärt wichtige cortisolabhängige Funktionen im Körper und bietet ein breites Portfolio an individuell möglichen Stellschrauben, an denen unsere Leser drehen können, um ihre eigene Cortisol-Balance langfristig zu erhalten bzw. wiederherzustellen.
Was war für Sie die größte Überraschung in der Recherche oder in der Praxis – etwas, das Sie selbst so nicht erwartet hatten?
Golinske: Mich hat tatsächlich die immense wechselseitige Abhängigkeit mit Diabetes-relevanten Aspekten überrascht. Natürlich wusste ich um die Verbindung, das Ausmaß hat mich jedoch sehr überrascht und im Gespräch mit Peter dahingehend bestärkt, diesen oftmals viel zu vernachlässigten Aspekt in einem ausführlichen Exkurs im Buch genauer zu beleuchten.
Heilmeyer: Mir war früher nicht bewusst, wie stark Cortisol mit der Psyche, dem Darm und sogar dem sozialen Umfeld verknüpft ist. Beispielsweise können Einsamkeit oder digitale Reizüberflutung messbare Auswirkungen auf den Cortisol-Rhythmus haben. Das zeigt, wie fein unser System reagiert.
Ein Kapitel widmet sich Kindern. Warum ist die Cortisol-Regulation gerade im Kindesalter so entscheidend?
Golinske: Das Thema Kinder war mir persönlich ausgesprochen wichtig – ich bin selbst Mama einer sechsjährigen Tochter und habe mich eingehend mit der Frage beschäftigt, ab wann meinem Kind der Besuch eines Kindergartens oder einer Kita guttun könnte. Bei der Recherche habe ich beunruhigende Informationen in aktuellen Forschungsergebnissen gefunden. In Zeiten, wo leider stets am wenigsten Geld für unsere Kinder da ist, Kitas aus allen Nähten platzen und Betreuermangel herrscht, ist es umso wichtiger, auf damit verknüpfte Risiken hinzuweisen. Denn chronisch ungesunde Cortisolspiegel können schon bei Säuglingen und Kindern auftreten – vor allem in mangelhaften Betreuungssituationen, wie sie oftmals in Einrichtungen gegeben sind. Dies kann lebenslange Folgen für die Kleinen haben. Dabei sollten verschiedene und individuell unterschiedlich sinnvolle Betreuungsmethoden für jedes Familienmodell ermöglicht werden. Qualität und Betreuungsschlüssel in Krippen und Kitas müssen den Bedürfnissen der Kinder angepasst werden, nicht die Kinder den Bedürfnissen der Arbeitswelt oder fiskalpolitischen Haushaltsplänen.
Heilmeyer: Kinder haben eine besonders empfindliche Stressachse. Wenn sie dauerhaft überreizt wird – etwa durch Leistungsdruck oder fehlende Ruhephasen –, kann das langfristige Spuren hinterlassen, auch im Immunsystem und in der Entwicklung. Wir wollten Eltern sensibilisieren, ohne Angst zu machen: Es geht um Achtsamkeit, nicht um Perfektion.
![]() Schon bei unseren Kleinsten können Reizüberflutung und der ständige Trubel in Kita und Kindergarten dazu führen, dass die Cortisolwerte steigen – jedoch haben Kleinkinder selbst noch keine Möglichkeit, den erlebten Stress zu regulieren. Hier ist besondere Vorsicht geboten und großes Einfühlungsvermögen bei den Betreuungs- und Bezugspersonen gefragt. Denn ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel kann langfristig Gesundheit und Gedächtnisleistung beeinträchtigen.
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Sie haben erwähnt, dass auch das Thema Diabetes in Ihrem Buch beleuchtet wird. Welche Rolle spielt Cortisol bei dieser Volkskrankheit?
Golinske: Ganz simpel gesagt erhöht Cortisol den Blutzucker, Insulin senkt ihn. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel begünstigt die Entstehung eines Typ-2-Diabetes. Dieser betrifft fast zehn Prozent der deutschen Bevölkerung – die Dunkelziffer nicht miteingerechnet und von der Risikogruppe ganz zu schweigen. Die Interdependenzen von Cortisolhaushalt und Typ-2-Diabetes sind signifikant, sowohl aus präventiver als auch kurativer Sicht! Das ist nicht nur für Betroffene, sondern auch für Risikogruppen und Gesundheitsbewusste wichtig zu wissen.
Sie nennen auch Stellschrauben, die man nicht sofort mit Stress in Verbindung bringt – etwa Kälte- und Wärmeanwendungen oder die Darm-Hirn-Achse. Warum können gerade solche Faktoren den Cortisolspiegel so stark beeinflussen?
Heilmeyer: Weil sie die Adaptionsfähigkeit unseres Körpers trainieren. Wechselreize wie Kälte und Wärme verbessern die Stressresilienz, ähnlich wie Sport. Und der Darm spielt über die Mikrobiota eine erstaunlich starke Rolle in der Kommunikation mit dem Gehirn. Wenn diese Achse stabil ist, beruhigt sich auch das Cortisol-System.
Mit dem 30-Tage-Reset geben Sie einen Fahrplan. Ist das ein starres Programm oder eher ein Werkzeugkasten, aus dem sich jeder bedienen kann?
Golinske: Ein starres Programm kann man nur bei einem technischen System anwenden. Menschen sind verschieden – daher sind all unsere Empfehlungen stets im individuellen Licht als praktischer Werkzeugkasten zu sehen, aus dem sich jede Leserin und jeder Leser die jeweils passenden Tools aussuchen kann. Manche setzen den Fokus auf Schlaf und Ernährung, andere auf Bewegung oder Entspannung. Wichtig ist, die Stellschrauben zu kennen und zu betätigen, an denen man bei sich selbst am besten drehen kann – und zu spüren, was einem guttut.
Zum Schluss: Wenn Leser nur eine einzige Sache aus Ihrem Buch sofort umsetzen sollten – welche wäre das?
Heilmeyer: Regelmäßig und bewusst Pausen einbauen. Das klingt banal, ist aber in unserer Gesellschaft fast verloren gegangen. Cortisol braucht nicht nur Aktivität, sondern auch Erholung. Wer das versteht, hat schon den ersten Code geknackt.
![]() Svea Golinske | Dr. med. Peter Heilmeyer |
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