Terri Cole: „Lernen Sie, die Wahrheit zu sagen – wie Sie sich fühlen, was Sie mögen und was Sie eben nicht mögen – und Grenzen zu setzen!“
Terri Cole: „Lernen Sie, die Wahrheit zu sagen – wie Sie sich fühlen, was Sie mögen und was Sie eben nicht mögen – und Grenzen zu setzen!“
Die bekannte Psychotherapeutin und Bestseller-Autorin Terri Cole im Interview
„Frauen sollen sich aufopfern, sie sollen nett, gefällig und nachgiebig sein. Die Gesellschaft hat uns beigebracht, dass wir umso weiblicher sind, je weniger Grenzen wir haben – und das glaube ich einfach nicht! Als Boundary Boss weiß eine Frau, wer sie ist, was für sie in Ordnung ist und was für sie nicht in Ordnung ist und wie sie das den Menschen in ihrem Leben mitteilt. Das muss nicht laut geschehen; man kann eine sehr introvertierte Person und trotzdem ein richtiger Boundary Boss sein. Nur muss man erst seine erlernten und unkritisch übernommenen Verhaltensmuster offenlegen – doch da muss sich niemand allein durchwühlen, ich begleite Sie Schritt für Schritt!“ Die bekannte Psychotherapeutin Terri Cole, Autorin des weltweiten Bestsellers „Boundary Boss“, ist überzeugt, dass wir alle lernen können, die richtigen Grenzen zu setzen und verständlich und effektiv zu kommunizieren.
Aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrung als Psychotherapeutin und Empowerment-Expertin sind Sie überzeugt, dass gesunde und stabile Grenzen der Schlüssel für ein erfülltes Leben sind. Wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gelangt?
Terri Cole: Tja, man sagt, dass man das lehrt, was man selbst am dringendsten lernen muss oder musste. Ich bin also zu dieser Erkenntnis gekommen, weil ich in meinem eigenen Leben mit ungeordneten Grenzen zu kämpfen und darunter zu leiden hatte, das aber nicht erkannt habe. So war ich in vielen meiner Beziehungen unzufrieden. Ich fühlte mich ausgenutzt. Ich war zurückhaltend, irgendwie die ganze Zeit abgemeldet – und habe das den anderen verübelt. Dann fand ich eine gute Therapeutin, die mir sagen konnte, um was es ging: „Du bist der gemeinsame Nenner in all diesen Beziehungen, Terri.“ Sie half mir zu erkennen, dass mein Problem nicht unbedingt darin lag, dass andere Menschen mich in Anspruch nahmen oder mich ausnutzten, sondern darin, dass ich nicht wusste, wie ich den Menschen Grenzen setzen konnte. Sie wussten also nicht wirklich, wie ich über die Dinge denke. Das war mein persönlicher Start als „Boundary Boss“. Und sobald ich das über viele Jahre hinweg wirklich gelernt hatte, änderte sich mein Leben, und meine Beziehungen wurden besser. Dann habe ich in meiner therapeutischen Praxis dasselbe gesehen: Ich erlebte, dass Frauen auf dieselbe Weise litten wie ich. Und ich wusste, dass das Setzen der richtigen Grenzen auch für sie die Lösung sein würde, um ein erfülltes, zufriedenes Leben zu führen.
Zu Ihren Klientinnen gehören Medienpromis und erfolgreiche Geschäftsfrauen genauso wie die gestresste Mutti von nebenan. Warum sind es vor allem Frauen, die Probleme mit der Abgrenzung haben?
Terri Cole: Das kommt von der Art und Weise, wie wir aufwachsen, was wir von unseren Herkunftsfamilien, unserer Gesellschaft, unserer Kultur lernen. Ich nenne die erlernten bzw. unkritisch übernommenen Verhaltensmuster die „Blaupause“ für unsere Grenzen, und wir lernen das alles schon sehr früh: Um eine gute Frau zu sein, muss man sich aufopfern. Du musst für jeden dein letztes Hemd geben. Du sollst gefällig sein, du sollst nett sein, du sollst nachgiebig sein. Und all diese Vorgaben sind in gewisser Weise das Gegenteil davon, Grenzen zu setzen – denn Grenzen zu haben bedeutet, die Wahrheit darüber zu sagen, wie man sich fühlt, was man will, was man mag und was man eben nicht mag. Ich glaube, die Gesellschaft hat uns beigebracht, dass wir umso weiblicher sind, je weniger Grenzen wir haben. Und wissen Sie, das glaube ich einfach nicht! Wir alle können lernen, die Sprache der Grenzen „fließend“, verständlich und nachvollziehbar zu sprechen.
Unter „Boundary Boss“ verstehen Sie eine Frau, die sich selbst und ihre dysfunktionalen Verhaltensmuster sehr gut kennt. Warum ist es so wichtig, ein souveräner Boundary Boss zu werden?
Terri Cole: Die ganze erste Hälfte des Buches besteht darin, in sich zu gehen, bevor wir uns nach außen wenden. Ein Boundary Boss ist jemand, der seine „innere Arbeit“ getan hat, und dabei wird Sie das Buch begleiten. Wir müssen verstehen, warum wir so sind, wie wir sind. Wir müssen Mitgefühl für uns selbst haben, für das, was wir in unseren Herkunftsfamilien gelernt haben, und sozusagen ein Verständnis für die „richtige Art, in der Welt zu sein“ entwickeln. Auf zurückhaltende Menschen kann der Gedanken ans Grenzensetzen manchmal beängstigend wirken – müssen sie jetzt lernen, aus sich herauszugehen? Nein, ein Boundary Boss zu sein bedeutet nur, dass man seine eigenen Vorlieben, Wünsche, Grenzen und Hemmschwellen kennt und weiß, dass man sich durchsetzen und die Wahrheit darüber sagen darf, wie man sich fühlt. Ein Boundary Boss weiß, wer er ist, was für ihn in Ordnung ist und was für ihn nicht in Ordnung ist und wie er das den Menschen in seinem Leben mitteilt. Das muss nicht laut geschehen; man kann eine sehr introvertierte Person und trotzdem ein richtiger Boundary Boss sein.
Terri Cole musste selbst erst lernen, unkritisch übernommene Verhaltensmuster zu hinterfragen, für sich einzustehen und gesunde Grenzen zu setzen. Wir können nicht erwarten, dass andere dies vorsorglich für uns tun – wir müssen und dürfen klar kommunizieren, was für uns in Ordnung ist und was nicht. |
Sie haben Ihr Buch zwar im Hinblick auf sogenannte Cisgender-Frauen geschrieben, doch versprechen Sie Ihren Leserinnen und Lesern, dass eigentlich jede und jeder von den Strategien und dem Inhalt profitieren kann. Welche Erfahrungen machen Männer oder Menschen aus anderen Kulturen beim Thema Abgrenzung?
Terri Cole: Ich glaube, dass grundsätzlich jeder Mensch Probleme damit hat, Grenzen zu setzen, denn niemand hat es wirklich gelernt. Viele Männer können aus diesem Buch lernen, wie man auf die richtige Weise gesunde Grenzen setzt. Sie fühlen sich vielleicht sehr unter Druck, der Versorger zu sein oder Dinge allein zu erledigen – so ist das doch oft bei Männern, von einem traditionellen geschlechtsnormativen Standpunkt aus gesehen, oder? Ich behaupte nicht, dass dies der einzige Standpunkt ist, aber wenn wir uns die „klassischen“ Geschlechterrollen ansehen, wird von Männern erwartet, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise handeln, dass sie unabhängiger sind, dass sie Antworten haben und handlungsorientiert sind. Die Realität sieht jedoch so aus, dass es viele Männer gibt, die ebenso wie viele Frauen unter dem leiden, was ich die „Krankheit, gefallen zu müssen“ nennen würde. Um auch die Frage nach anderen Kulturen kurz zu beantworten: Innerhalb des Buches gibt es Nuancen; ich bin mir der Tatsache bewusst, dass einige Kulturen viel frauenfeindlicher sind als andere und dass sie sich weniger für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzen. Es ist daher klar, dass es teils große Unterschiede gibt, wie viele und welche Grenzen man ziehen kann.
In Ihrem Buch betonen Sie die Wichtigkeit einer Bestandsaufnahme der eigenen Lebensgeschichte und Erfahrungen. Welche Rolle spielt dabei die familiäre Erziehung, und wie kann man erlernte dysfunktionale Abgrenzungsmuster bewusst verändern?
Terri Cole: Wie ich schon angedeutet habe, entsteht unsere „Blaupause“ aus Mustern der Herkunftsfamilie, aus den Erfahrungen, dem Land, der Kultur und der Gesellschaft, aus all den gesellschaftlichen Normen, Erwartungen und Rollen. Um sie bewusst verändern zu können, müssen Sie wissen, wie sie aussieht; dabei helfe ich Ihnen mit einer ganzen Reihe von Fragen. Sie bekommen eine Momentaufnahme davon, woher Ihre Überzeugungen über Grenzen stammen, denn diese sind wie architektonische Entwürfe für ein Haus, das jemand anderes vor Jahrzehnten entworfen hat. Es sind unbewusste Paradigmen, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden – wie man sich verhalten sollte, wie Beziehungen, wie Frauen sein sollten und wie Männer sein sollten. Eines der wichtigsten Dinge, die Sie in diesem Buch tun werden, ist, Ihren eigenen Grenzplan zu entdecken, denn das ist das Navi, mit dem Sie verstehen können, welche Überzeugungen Sie ändern wollen. Denn die Sache ist die: Sie können Ihre Herkunftsfamilie innig lieben und dennoch mit ihr nicht einverstanden sein. Es ist erlaubt, sich für etwas anderes zu entscheiden, aber Sie müssen wissen, was in Ihrer unbewussten Blaupause steht, um es bei Bedarf zu ändern.
Der Bestseller: Das englische Original wurde bisher weit über 100.000-mal verkauft und in 18 Sprachen übersetzt. Nachhilfe in Sachen Grenzensetzen können wir alle brauchen, denn nahezu niemand hat das jemals lernen dürfen. Terri Cole vermittelt ihren Leserinnen und Lesern zuverlässige Strategien und Techniken, um die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, den persönlichen „Grenzplan“ zu entwerfen und diesen verständlich und nachvollziehbar durchzusetzen. |
Sie beschreiben Ihr Buch „Boundary Boss“ als strategischen Guide oder als eine Art Ausbildung. Das klingt nicht gerade nach einem Wohlfühl-Ratgeber und verlangt den Leserinnen einiges ab. Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, und wie geht man mit Rückschlägen oder auch schwierigen Personen im eigenen Umfeld um?
Terri Cole: Die Sache ist die: Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fühlen sich gut an, und die Art, wie das Buch geschrieben ist, basiert auf Fallstudien und persönlichen Geschichten. Es ist also nicht nur ein knallharter Leitfaden, der sagt: „An die Arbeit!“ Ich erzähle Ihnen Geschichten, um die Konzepte zu veranschaulichen, und dann begleite ich die Leserinnen und Leser dabei, sich selbst und die eigenen Erfahrungen darin wiederzufinden … Keiner muss sich allein durchwühlen, wir machen das zusammen.
Wenn Sie aktuell mit schwierigen Menschen in Ihrem Umfeld zu kämpfen haben, würde ich Ihnen als Erstes raten, eine Bestandsaufnahme durchzuführen. Das wird uns die Beziehungen zeigen, die unsere Aufmerksamkeit am dringendsten brauchen. Sie schreiben einfach den Namen der jeweiligen Person auf und was Sie empfinden – Ärger oder Wut oder mangelnde Wertschätzung oder was auch immer es ist, das Sie negativ empfunden haben. Eine solche Bestandsaufnahme zeigt uns, welche Beziehung unsere Aufmerksamkeit braucht, und entwickelt sich oft zu einem Fahrplan, an welchen Beziehungen wir zuerst arbeiten müssen. Rückschläge gehören dazu, denn das ist die Art und Weise, wie unser Gehirn funktioniert. Zwei Schritte nach vorn, einer zurück. So lernen wir.
Erwarten Sie also nicht, dass Sie, nur weil Sie wissen, was Sie tun sollten, es auch sofort tun können. Ich führe Sie durch den gesamten Prozess und bereite Sie auf den Widerstand vor, den Sie in Ihren Beziehungen bekommen könnten, auf die Art und Weise, wie die Leute reagieren oder auch nicht reagieren. Und ich vermittle Ihnen auch ein großes Maß an Selbstfürsorge, denn diese Arbeit ist nichts für schwache Nerven und kann anstrengend sein. Vor allem dann, wenn man vielleicht eine schwere Kindheit hinter sich hat. Aber wissen Sie, es lohnt sich, und Sie sind es wert. Und ich verspreche Ihnen, dass jeder, der sich bessere Grenzen wünscht, dies in seinem Leben verwirklichen kann, indem er „Boundary Boss“ von Anfang bis Ende liest und alle Übungen macht. Und ich garantiere Ihnen ebenso, dass sich in Ihrem Leben etwas zum Positiven verändern wird.
Buch-Tipp:
Terri Cole: Boundary Boss. Meine Grenzen setze ich selbst! Klarheit finden und endlich selbstbestimmt leben. Mankau Verlag, 1. Aufl. Oktober 2024, Klappenbroschur, 13,5 × 21,5 cm, 286 S., 22,00 € (D) | 22,70 € (A), ISBN 978-3-86374-734-3
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