„Für Wakame-Frikadellen lasse ich sogar mein Lieblingsessen stehen!“
„Für Wakame-Frikadellen lasse ich sogar mein Lieblingsessen stehen!“
Interview mit der renommierten Kochbuch-Autorin und Ernährungsexpertin Barbara Rias-Bucher
„Algen werden auch bei uns zunehmend an Bedeutung gewinnen, vor allem durch ihren Reichtum an Ballast- und Nährstoffen. Als Lieferanten von Jod, hochwertigem Protein und essenziellen Fettsäuren spielen sie vor allem für eine vegetarische oder vegane Lebensweise eine wichtige Rolle. Richtig zubereitet, schmeckt Meeresgemüse einfach köstlich und dient nicht nur als pflanzliche Alternative zu Fisch und Meeresfrüchten, sondern auch als feine Würze und Heilmittel.“
Die Ernährungsexpertin Dr. Barbara Rias-Bucher, Autorin des Kompakt-Ratgebers „Meeresgemüse und Algen“, fasst alles Wissenswerte über die gesunden Lebensmittel aus dem Ozean zusammen – was die verschiedenen Algensorten auszeichnet, wo man sie beziehen kann und wie man sie nach asiatischer oder europäischer Tradition in zahlreichen schmackhaften Rezepten zubereiten kann.
Algen zählen zu den ältesten Lebewesen des Planeten und machen etwa 95 Prozent der Meeresvegetation aus. Handelt es sich hierbei um Pflanzen im gewohnten Sinne?
Barbara Rias-Bucher: Das ist eine Frage der Definition: Manche Botaniker zählen nur Landpflanzen zum eigentlichen Pflanzenreich, den Plantae. Nach einer zweiten Auffassung gehören auch Grünalgen dazu, und man bezeichnet diese Gruppe aus Landpflanzen und Grünalgen als das grüne Pflanzenreich, die Chlorobionta. Und die dritte, weite Definition spricht auch vom braunen und roten Pflanzenreich, das heißt, man zählt auch Braun- und Rotalgen zu den Pflanzen – es sind die Heterokontobionta und die Rhodobionta. Bedenken Sie auch, dass Landpflanzen vermutlich aus Grünalgen entstanden sind: Als Vorfahren der Landpflanzen besiedelten diese den Rand von Tümpeln und Sümpfen. Und weil auch Tümpel und Sümpfe immer wieder austrocknen, musste sich die Algenvegetation anpassen, wollte sie nicht zugrunde gehen. So gelangten die Pflanzen aus dem Wasser aufs Land, wie später ja auch die Tiere – bekanntlich stammt alles Leben aus dem Wasser.
Sie unterscheiden in Ihrem Buch zwischen Algen und Meeresgemüse. Warum?
Rias-Bucher: Zu den Algen zählen auch mikroskopisch kleine Lebewesen, die als Phytoplankton die Nahrung für Meeresbewohner darstellen, als Mikroalgen(-präparate) zu den Nahrungsergänzungsmitteln und Superfoods zählen und als Rohstoffe industriell genutzt werden – zum Beispiel in Medizin und Kosmetik, in der Nahrungsmittelindustrie und Textilproduktion. Meeresgemüse dagegen sind Makroalgen, die man wie Gemüse züchtet, erntet und zubereitet. Und davon handelt dieser Kompakt-Ratgeber, der Ihnen zeigt, wie man diese wertvollen Pflanzen in den ganz normalen Speisezettel einbaut.
Seit Jahrtausenden sind Algen wichtige Lebensmittel für die Bewohner von Inseln und Küstenregionen in Asien und Europa. Warum werden sie auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen?
Rias-Bucher: Ganz sicher wird die Bedeutung von Algen und Meeresgemüse noch weiter zunehmen. Denn „Algen nutzen das Sonnenlicht effektiver und wachsen schneller als Landpflanzen“, sagt Sebastian Weickert von der Universität Hohenheim. So können diese Pflanzen einen wichtigen Teil zur Nährstoffversorgung mit neuen Lebensmitteln beitragen, speziell Protein und Fettsäuren: Protein aus Algen ist hochwertiger als die meisten tierischen Proteine. Inzwischen gibt es Forschungsprojekte, die mithilfe von Computersimulationen auf globaler Ebene prüfen, wie weit man den Ausstoß von Treibhausgasen vermindern kann, wenn man tierisches Eiweiß durch Algenprotein ersetzt. Zudem helfen Meeresgemüse und Algen bei Entschlackung und Detoxing: Indem sie den Stoffwechsel anregen, wird der Organismus besser mit Sauerstoff versorgt und das Lymphsystem aktiviert, sodass Abbauprodukte leichter ausgeschieden werden können. Ein weiterer Faktor ist der hohe Jodgehalt, der aus zwei Gründen wichtig ist: Erstens zählt Deutschland zu den Jodmangelgebieten. Zweitens können auch Menschen, die keinen Seefisch essen, ihren Jodbedarf mit Algen und Meeresgemüse ganz leicht decken – wer vegetarisch oder vegan lebt, ist auf die Jodzufuhr aus pflanzlicher Nahrung angewiesen, und da stehen Meerespflanzen zweifellos an erster Stelle. Jod ist ein Spurenelement, das als Bestandteil der Schilddrüsenhormone zu den lebenswichtigen Mikronährstoffen zählt. Diese Hormone, die nur mit Jod gebildet werden können, sind an der Steuerung von Wachstum, Knochenbildung, Gehirnentwicklung und Stoffwechsel beteiligt, beeinflussen das Allgemeinbefinden, die Psyche und – über die Insulinausschüttung – auch das Körpergewicht. Die richtig dosierte Jodzufuhr ist deshalb außerordentlich wichtig für unsere Gesundheit, denn eine Überdosis schadet ebenso wie Jodmangel. Inzwischen gilt Jod auch als Schutz vor Brustkrebs und Mastopathie, einer gutartigen Veränderung des Brustgewebes, und betont wird die Bedeutung von Jod während Schwangerschaft und Stillzeit. Ausführlich informiert darüber ein Beitrag auf www.netzwerk-frauengesundheit.com, der Website von Prof. Dr. Ingrid Gerhard (meiner Co-Autorin bei „Richtig ernähren in Schwangerschaft und Stillzeit“, ebenfalls erschienen im Mankau Verlag). Doch wie bei jeder Substanz ist eben auch ein Zuviel an Jod problematisch, und auch darauf gehe ich in meinem Kompakt-Ratgeber zu Meeresgemüse detailliert ein.
Bereits in der makrobiotischen Ernährungsweise hat man Algen und Meeresgemüse als vollwertiges Lebensmittel und pflanzliche Alternative zu Fisch und Fleisch entdeckt. Was ist das Besondere an diesem Konzept und was macht die Powerpflanzen aus dem Ozean so wertvoll?
Rias-Bucher: Viele meinen, Makrobiotik sei ein Ernährungskonzept aus Asien, ähnlich wie Ayurveda. Doch der erste Makrobiotiker war der deutsche Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836). Er postulierte, der Mensch könne bei entsprechender Lebensweise mit vernünftiger Ernährung und mit viel Bewegung an frischer Luft uralt werden. Tatsächlich ist die Lebenserwartung seit dem Zweiten Weltkrieg ja stetig angestiegen – vor allem dank Hygiene, Antibiotika, Lebensmittelsicherheit und guter Ernährung. Doch ebenso nehmen ernährungsbedingte Krankheiten zu – Adipositas, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und bereits Hufeland warnte davor, nur noch verfeinerte Nahrung zu konsumieren, weil dadurch „eine beständige Überfüllung aller Gefäße entsteht, und diese stört immer das Gleichgewicht und also Gesundheit und Leben.“ Meeresgemüse kann uns Achtsamkeit beim Essen lehren, denn an den Pflanzen aus dem Meer erkennen wir den Wert eines Lebensmittels – nicht nur, weil gute Qualität ihren Preis hat, sondern weil Auswahl und Zubereitung von Algen ein hohes Maß an Sorgfalt erfordern. Richtig zubereitet, schmeckt Meeresgemüse einfach köstlich und dient uns nicht nur als vegetarische Alternative zu Fisch und Meeresfrüchten, sondern auch als Würze und Heilmittel, zum Beispiel bei Haut- und Darmerkrankungen, allergischen Reaktionen, Rheuma und Arthritis. Das liegt an dem hohen Gehalt an Antioxidantien, die unser Immunsystem stärken, und an Omega-3-Fettsäuren, die unser Körper nicht selbst bilden kann.
Woher kommen eigentlich die Algen, die man inzwischen in Naturkostläden und Biosupermärkten kaufen kann? Ist es auch möglich, Algen selbst zu ernten – z. B. im Urlaub am Meer?
Rias-Bucher: Es lohnt, beim Einkauf von Meeresgemüse auf Qualität zu achten, denn grundsätzlich hängt der Gehalt an Mikronährstoffen von der Wasserqualität ab, egal, ob die Pflanzen wild wachsen oder aus Aquakulturen stammen. Qualitativ hochwertige Produkte aus Mikroalgen für Nahrungsergänzung und Pflege bekommen Sie zum Beispiel bei www.marine-therapy.com. Bei getrocknetem Meeresgemüse bieten die größte Auswahl asiatische, speziell japanische Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte; dort gibt es auch eingelegtes Meeresgemüse als Salat und manchmal sogar frische Ware. Sehr gut bestückt mit getrockneten Algen sind auch die Makrobiotik-Regale in Bio-Supermärkten. Frisches Meeresgemüse aus europäischem Anbau bekommen Sie über Online-Versand und bei Fischhändlern, dort allerdings meist nur auf Bestellung. Frische Algen haben genau wie Landgemüse ihre Erntesaison: So zum Beispiel Dulse und Meeresspaghetti von Mai bis Oktober, Meersalat von März bis Juli. Frisches, aber zur Konservierung eingesalzenes Meeresgemüse gibt es auch außerhalb dieser Erntezeiten. Wer an der Küste wohnt, hat Meeresgemüse vermutlich schon selbst geerntet. Und wer Urlaub am Meer macht, sollte es mal versuchen, allerdings mit der richtigen Ausrüstung und Vorbereitung: Mit einer Tidentabelle aus dem Internet oder dem Touristenshop Ihres Urlaubsortes informieren Sie sich über die Gezeiten, damit Sie beim Sammeln nicht Gefahr laufen, von der Flut überrascht zu werden. Wenn Sie die verschiedenen Arten von Algen noch nicht kennen, brauchen Sie genau wie beim Wildkräutersammeln auch ein Bestimmungsbuch.
Zwar enthalten Meeresgemüse und Algen hohe Mengen an Eiweiß, lebensnotwendigen Fettsäuren, Mineralstoffen und Vitaminen, doch sind wir Mitteleuropäer nicht an diese Meereskost gewöhnt. Welche gesundheitlichen Risiken gibt es, und worauf sollte man besonders achten?
Rias-Bucher: Algen und Meeresgemüse sind kein Superfood, das man täglich essen darf. Die inzwischen so verbreitete Annahme „je mehr, desto besser“, gilt übrigens für kaum ein Lebensmittel und für die Pflanzen aus dem Meer schon gar nicht. Anders als die Menschen in Ostasien sind wir nicht seit Jahrtausenden an eine algenreiche Ernährung gewohnt. Inzwischen weiß man, dass die Mikrobiota in unserem Darm auf Algen (noch) nicht so eingestellt ist, dass wir sie restlos verdauen können – einen bedeutenden Teil der Algen-Kohlenhydrate zum Beispiel nutzen wir nicht als Energielieferanten, sondern als Ballaststoffe, die unser Immunsystem stärken und die Verdauung in Schwung bringen. Das ist der positive Aspekt. Problematisch ist der hohe Jodgehalt (siehe auch oben), der die empfohlene maximale Aufnahmemenge von 500 Mikrogramm Jod pro Tag überschreiten kann, sogar um ein Vielfaches. Vor allem bei älteren Menschen kann es „schon nach einmaligem Verzehr jodreicher Algen zu einer jodinduzierten Hyperthyreose und damit zu einer unter Umständen lebensbedrohlichen Entgleisung des Stoffwechsels kommen“, betont das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Deshalb finden Sie in den Algenporträts meines Buches auch Infos zum Jodgehalt. Ein weiteres Problem ist Arsen, vor allem in Hijiki-Algen; einige Behörden für Lebensmittelsicherheit warnen daher sogar vor dem Verzehr von Hijiki, und in meinem Buch nenne ich deshalb nur traditionelle Zubereitungsarten, verzichte aber auch eigene Rezepte. Schließlich zum Thema Schadstoffe: Meeresgemüse und Algen binden Schadstoffe wie Schwermetalle und andere Umweltgifte. Dennoch muss man sich um Schadstoffbelastung keine Sorgen machen. Die meisten Algen kommen aus Japan und wachsen dort seit Jahrzehnten in Tankanlagen. Europäisches Meeresgemüse aus Frankreich weist laut den Herstellern bisher weder überhöhte Jodgehalte noch hohe Schadstoffmengen auf. Zudem stellen regelmäßige Untersuchungen der Wasserqualität wie auch die Analyse jeder Ernte sicher, dass die Qualität stimmt. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung wiesen Algen und Meeresgemüse aus Japan auch nach dem Reaktorunfall von Fukushima im Jahr 2011 keine erhöhten Strahlenwerte auf.
In Ihrem Kompakt-Ratgeber stellen Sie Rezepte aus Asien und Europa vor. Wie unterscheiden sich die beiden kulinarischen Traditionen im Hinblick auf die Verwendung von Algen und Meeresgemüse?
Rias-Bucher: Asiatische Rezepte sind raffinierter, europäische bodenständiger. Denn in Asien galt Meeresgemüse immer als Delikatesse, die sowohl zur höfischen Küche als auch zur ausgefeilten Kochkunst der Klöster gehörte. Die vegetarische Shojin-Küche, von Zen-Mönchen entwickelt, ist Ausdruck des Strebens nach Harmonie. Kein Tier wird dafür getötet, der Koch arbeitet höchst konzentriert im Einklang mit der Natur, die ihm alle Schätze des Pflanzenreichs zur Verfügung stellt, die im Wasser und in der Erde wachsen. Grundlage für Suppen und Soßen der Klosterküche ist selbst gekochter Fond aus Kombu, und um der Reinheit willen wird diese sogenannte Dashi nur schwach gewürzt. Aus der Edo-Zeit (1603 bis 1868) stammt ein Kochbuch, das Rezepte für 21 unterschiedliche Algenarten enthält – Zeichen dafür, dass man Meeresgemüse auch in der bürgerlichen Küche genauso schätzte wie Gartengemüse. In Europa dagegen war Meeresgemüse vorwiegend Ersatznahrung: Fisch und Meeresfrüchte brachten Profit, und die Fischer verkauften sie lieber auf dem Markt, während sie selbst einfach die Pflanzen aus dem Meer aßen. Für Meeresgemüse brauchte man keine(hoch-)seetauglichen Boote, sondern konnte einfach sammeln, was die Flut angespült hatte. So war getrocknete Dulse nahrhafter Snack für irische Fischer und schottische Highlander. Archäologen zufolge gehörte Dulse bereits vor der Zeitenwende zur alltäglichen Nahrung der Küstenbewohner der britischen Inseln. In den Rezepten dieses Buches stelle ich Ihnen traditionelle Gerichte aus Asien und Europa vor und dazu eigene Kreationen, wie ich sie gerne esse. Wie immer ist mein Favorit Couscoussalat, diesmal mit Nori. Bei Spaghetti mit Haricot de mer war ich selbst überrascht, wie ausgezeichnet Pasta und Algen harmonieren. Und für Wakame-Frikadellen lasse ich sogar mein Lieblingsessen Fish and Chips stehen.
Buch-Tipp:
Dr. Barbara Rias-Bucher: Meeresgemüse und Algen. Kompakt-Ratgeber. Gesunde Lebensmittel aus dem Ozean. Mankau Verlag, 1. Aufl. Juli 2017, Klappenbroschur, 11,5 x 16,5 cm, durchgeh. farbig, 127 S., 8,99 Euro (D) │ 9,20 Euro (A), ISBN 978-3-86374-386-4.
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